Der rote Kakadu
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Geschrieben von Beat Rubischon (Link) am
Dienstag, 26. Dezember 2006, 12:38
aus dem *filmguck* dept.
Schon im Frühling, als die Werbung zum Film auftauchte, wollte ich mir den Film angucken. Fürs Kino hat es dann nicht mehr gereicht, aber zum Glück gibt es DVDs!
Die Geschichte spielt in Dresden, kurz vor dem Mauerbau. Porträtiert werden junge, eher akademische Menschen aus dem Künstlermilieu - eine Schicht von Leuten, in denen ich auch heute noch den Unterschied zwischen BRD und DDR am nahesten beobachte.
Der Glaube, dass doch noch alles gut kommt, ist bei vielen unerschütterlich. Dennoch lassen sich die Beamten des jungen Staates nicht provozieren und schlagen unerbittlich zurück. Die gegenseitige Bespitzelung, für die die DDR berühmt war, fand ihren Anfang in dieser Zeit und zieht sich entsprechend durch den Film.
Die Leute gehen sehr offen und freizügig miteinander um. Alkohol, Sex und Tanzen wird genossen wo es geht - auch wenn die gängigen Konventionen über Beziehungen und Heirat wenigstens den einen gewisse Schranken bedeuten. Entsprechend ist Tripper ein Problem und alle treffen sich früher oder später im Wartezimmer des Krankenhauses wieder.
Für "uns Westler" kam die "sexuelle Revolution" erst in den 68ern. Von daher stellt sich mir die Frage, wie weit diese offene Umgangsformen in der frühen DDR schon üblich waren - wie weit der Film auf historischen Begebenheiten basiert. Die vielen Warnplakate über die Gefahren des ungeschützten miteinander Schlafens dürften doch einen historischen Hintergrund haben.
Ich erlebe es immer wieder, dass junge Leute aus dem Osten noch heute viel unverkrampfter mit Sexualität umgehen. Sie sind heute Deutsche, sprechen deutsch, aber sie sind oft ein kleines bisschen anders als die Westler. Die typische Arbeiterschicht erscheint uns Schweizern eher faul und unmotiviert, die Leute mit einer akademischen Laufbahn aber besonders offen und am Weltgeschehen interessiert.
Wie in Casablanca ist Flucht ein zentrales Thema des Filmes. Will man in den Westen abhauen? Seine Heimat, seine Wurzeln aufgeben? Junge Leute ohne persönliche Bindung haben vielleicht weniger Mühe, lassen sich aber auch eher von der Proaganda beeinflussen. Wir haben das Glück, bisher in einer Zeit gelebt zu haben, in der wir nie vor dieser Frage gestanden sind. Das einzige was ich weiss, ist die Tatsache, dass ich nicht weiss wie ich reagieren würde. Abhauen? Familie zurücklassen, mitnehmen? Irgendwie habe ich ein verdammt ungutes Gefühl vor so einer Entscheidung und kann alle verstehen, die sich mit ihr schwer getan haben.
Der Film ist kein typisches Hollywood Projekt und die Geschichte teilweise nicht ganz so detailliert gezeichnet. Der Regisseur packt uns nicht stark an der Hand und so bleiben viele Fragen offen, die Phantasie findet immer wieder Wege zum Abschweifen. Es ist ganz anderes Kino als wir uns von der grossen Masse gewohnt sind - aber es ist Kino, wie ich es mittlerweile sehr schätze.
Ist das ein Polyfilm? Gute Frage. Wie The Dreamers thematisiert der Film eine unkonventionelle Beziehung. Luise sagt in einer Szene über sich und ihren Mann Wolle Wir sind wie Wasser und Feuer. Beide führen eine intensive und heftige Beziehung, geraten sich immer wieder in die Haare, können sich aber 1000% auf sich verlassen. Siggi traut sich erst im Gerichtssaal, seine Zuneigung zu Luise zu äussern - noch etwas zuvor zieht er seine Hand aus der ihren, als Wolle spontan auftaucht. Er traut sich auch nie mit Luise zu schlafen, obwohl sie ihn sehr nahe an sich lässt. Die Spannung in ihm, den richtigen Weg zwischen Gefühlen und Erziehung zu finden, ist einfach zu gross.
In einer kurzen Einstellung sieht man die drei Hauptdarsteller gemeinsam in einem Bett erwachen. Einen kurzen Moment lang kommt das Glück dieser Dreien zum Ausdruck, das grossartige Gefühl, noch etwas schlaftrunken in den Tag zu schauen.
In beiden Filmen trennen äussere Einflüsse die Liebenden und lassen die Frage nach dem Weitergehen dieser Beziehung offen. Das Kinopublikum und die Sponsoren dürften noch länger nicht bereit sein, eine Dreierkiste als etwas anderes als eine Provokation oder ein Experiment anzusehen.
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