Neulich im Zug
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Geschrieben von Beat Rubischon (Link) am
Mittwoch, 4. Juli 2012, 19:56
aus dem *staun* dept.
Ich sitze im Interregio von Chur nach Ziegelbrücke, schreibe gerade den Text zu einem Bild, das ich am Nachmittag gemacht habe. Vis a vis sitzt ein jüngeres Mädchen. Dörf ich Sie öppis fröge?
Erst bin ich einmal ziemlich schockiert. Dass ich für ein paar Cents oder zwei Franken im Bahnhof angefragt werde, bin ich mir mittlerweile gewohnt. Aber im Zug? Ich gucke sie fragend an.
Sie erzählt mir ihre Geschichte. Lehre als Logistikerin, Abschlussprüfung versemmelt. Lehrstelle muss der Horror sein, bereits während der Lehre Ort und Lehrmeister gewechselt. Ende Juli läuft der Lehrvertrag aus, Job nicht in Sicht. Eigentlich nicht verwunderlich, ohne Abschlussprüfung und vielleicht mit einem -itsch im Namen, ist die erste Stelle eine Herausforderung. Ihr Chef bietet ihr ein weiteres Jahr an, damit sie die Prüfung wiederholen könne.
Was tun? Sie fragt mich direkt.
Wirklich raten konnte ich ihr nicht. Bestenfalls ein paar Sichten geben. Sie weiss jetzt zumindest, dass sie zu der Berufsberatung soll und unbedingt von ihrem Lehrmeister ein Lehrzeugnis braucht. Dieses vielleicht auch gleich jemandem zeigen, der die Sprache darin versteht. Dass ein Jahr überlebbar ist, auch wenn es hart ist. Und das Angebot eines zusätzlichen Lehrjahres normalerweise heisst, dass der Chef an sie glaubt. Sie weiss auch, dass ihre Eltern sie nicht mehr finanzieren müssen. Und dass sie ohne Abschluss verdammt schlechte Karten hat...
In Bad Ragaz stieg sie aus. Ich wünschte ihr noch viel Glück, sie schenkte mir ein Lächeln. Und ich fragte mich insgeheim, was ich heute wohl ausstrahle, dass sich ein wildfremdes Mädchen mir derart öffnet...
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