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 5 Euro 
Beat Geschrieben von Beat Rubischon (Link) am Dienstag, 28. September 2010, 18:12
aus dem *schlagzeilen* dept.

5 Euro mehr stand gestern auf allen Titelseiten der deutschen Zeitungen. Ich fragte mich, was das heisst und wurde durchaus fündig.

Knapp 7 Millionen von gut 81 Millionen Deutsche leben von Hartz-IV. Das sind 8.75%. Ich nehme an, dass da noch eine grosse Dunkelziffer von Menschen ist, die eigentlich auch in diesen Topf gehören. Also vielleicht jeder zehnte Deutsche lebt vom Staat. EUR 364 gibt es pro Nase. Das sind, der aktuell miserable Wechselkurs berücksichtigt, knappe 500.- Franken.

Ich ging die vergangenen drei Tage durch das verregnete Köln. Mir ist einmal mehr die immer stärker wachsende soziale Schere aufgefallen. Und wenn ich obige Zahlen sehe, dann wundert mich das nicht: Der Mantel der hübschen Frau gestern Nachmittag, der perfekt auf die Länge des Jupes abgestimmt war, kostet ein Monatseinkommen eines Arbeitslosen. Genauso die Lederstiefel der älteren Dame vor dem Buchladen. Die Leasingraten jedes zweiten parkierten Autos. Aber auch die Sitzplätze in den Fliegern über meinem Kopf oder die Uebernachtungen in den edlen Hotels rund um die Messe.

Daneben gibt es Bauprojekte wie Stuttgart 21 (4 Milliarden), Köln-Frankfurt (6 Milliarden) oder der Hauptbahnhof Berlin (4.2 Milliarden mit Zubringer). Klar schaffen solche Projekte kurzzeitig ein paar Arbeitsplätze. Aber nichts, was eine Menge von Menschen, die der Einwohnerschaft der Schweiz entspricht, jemals ernähren könnte. Sie bleiben, zumindest aus der Sicht der Armen, die protzigen Vorzeigeobjekte der Reichen. Keiner wird sich je ein Ticket für eine Fahrt mit der Bahn leisten können.

Deutschland hatte schon einmal eine Regierung, die den sozialen Frieden nicht schaffen vermochte. Sie wurde abgelöst durch eine andere, welche mit starkem Nationalismus und dem Versprechen von Arbeit und Wohlstand die Massen erfolgreich mobilisierte. Und Erfolg hatte: Staatliche Ankurbelung der Wirtschaft durch komplette finanzielle Isolation und ruinieren der eigenen Währung, Aufbau von Grossproduktionen. Ich bin überzeugt davon, dass das mittlerweile ohne Probleme noch einmal funktionieren würde. Fehlt nur noch der grosse Redner, der das anpackt.

Dabei wussten schon die Römischen Kaiser, was zu tun ist: Brot und Spiele. Die Spiele haben sie, wenigstens in Bayern. Doch wenn das Brot fehlt, hilft auch das nichts...

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Das Kleingedruckte: Der Besitzer der folgenden Kommentare ist wer immer sie eingeschickt hat. Wir sind in keiner Weise für sie verantwortlich.

  • Re: 5 Euro
    Geschrieben von iprigger am Dienstag, 28. September 2010, 22:21

    Hallo!

    Von der Weimarer Republik ist DE noch (zu) weit entfernt - und ich hoffe, dass es nicht mehr so weit kommt wie es 1932/33 angefangen hat.

    Die Situation heute (mit der Vergangenheit) von damals hat den Vor- und auch den Nachteil, dass es gerade für die "oberen" undenkbar ist, dass sich die Geschichte wiederholt.

    Das Problem an .de ist, dass man zu lange auf der einen Seite reguliert hat, auf der anderen Seite das amerikanische System kopiert hat. Gewerkschaften haben in Deutschland irrsinnig viel macht - und machen damit unvorstellbaren Blödsinn. Das Problem haben die Franzosen zwar auch, aber erstens ist Paris dort überall weit weg und zweitens sind die Deutschen - so leid es mir tut das Klischee wieder mal zu bringen - eben richtig gründlich.

    Jeder Regierunswechsel hat tonnenweise neue "stellen" geschaffen. Die Bürokratie (man nehme z.B. das Steuerrecht) ist selbst für Experten zu einem derartigen Monster geworden, dass es kaum mehr zu bändigen ist.

    Kommt dazu (das habe ich am eigenen Leib erlebt), dass die Rechtssicherheit, dass das, was heute gilt auch noch in zwei, drei Jahren gilt, ganz klar nicht gegeben ist.

    Die Schere ist da - und sie wird grösser. Deutschland hat strukturelle Probleme, welche durch die Widervereinigung (zum Teil massiv) verstärkt wurden.

    Deutschland hat aber auch das Problem, dass sie z.T. der Zahlemann der EU ist. Die unsinnigen Kriterien, an welchen die Finanzleistungen an Griechenland festgemacht wurden hätte man - gerade in der heutigen Situation - ganz klar überdenken müssen.

    Da hätten zum Einen mehr Kriterien hineingehört, welche u.A. die Neuverschlundung der einzelnen Staaten mit berücksichtigt hätten.

    Zum anderen hätte die EU Griechenland SO niemals in die EU lassen dürfen. Das war ganz klar der Wunsch nach Wachstum durch Grösse, nicht durch Stärke.

    Ein Land, das sogar illegale Bereiche wie u.A. Drogenhandel als Wirtschaftsfaktor mit rein mogelt, damit es überhaupt die EU Kriterien erfüllt ist weder tragbar noch würdig, in die EU aufgenommen zu werden.

    Europa erlebt derzeit eine der längsten Friedensperioden der Geschichte. Ich hoffe, dass diese noch lange anhält.

    Einer der Gründe für diese langanhaltende Friedensperiode ist sicher auch in der EU zu suchen.

    Aber so, wie sie derzeit regiert (stichwort: Lisbon Treaty) wird würde ich davon abraten, ihr beizutreten.

    Die EU an und für sich muss ihre demokratischen Pflichten wahrnehmen - andernfalls kann die Situation sehr schnell gefährlich werden.

    Deutschland und die ganze EU werden wieder stärker werden. Aber dafür muss man dem Land die Ruhe lassen, sich neu zu organisieren.

    Die Abwertung des Euros ist so gesehen sicherlich ein Segen. Der Segen steht nur auf extrem wackligen Füssen. Bevor jetzt überall Euphorie ausbricht sollte man lieber sehen, dass man das, was man jetzt aufbaut nicht gleich mit Steuersenkungen und zum Teil horrenden Lohnerhöhungen (wie von den Gewerkschaften z.T. gefordert) wieder zunichte macht.

    Gruss!

  • christof@buergi.lugs.ch Re: 5 Euro
    Geschrieben von P2501 (Link) am Mittwoch, 29. September 2010, 14:01

    Na, zu SVP übergetreten? ;-) Sorry, aber die Zahlen kann ich so nicht stehen lassen.

    Nehmen wir uns mal die Neubaustrecke Frankfurt - Köln vor. Die hat den Staat laut Bundesrechnungshof knapp 5 Milliarden gekostet. Das hat bereits für einigen Ärger gesorgt, denn vereinbart waren knapp 4 Milliarden. Die 5 Milliarden sind für das gesamte, 7 Jahre dauernde Bauprojekt angefallen (da würde ich übrigens auch nicht mehr von "kurzfristig" reden). Das sind pro Hartz-IV Empfänger und Monat EUR 8.50. Oder pro Einwohner und Monat 75 Cent. Dank der neuen Bahnlinie reduzierte sich die Fahrzeit von Frankfurt HB nach Köln HB von zwei auf eine Stunde. Dies führte dazu, dass die vorher beliebten Lufthansa Linienflüge Frankfurt - Köln plötzlich gar nicht mehr beliebt waren, und eingestellt wurden. Gut für die Umwelt, aber auch gut für den Staatshaushalt, der direkt vom Bahnverkehr profitiert.

    Kurz: Dein Vergleich ist in diesem Fall unfair. Nach der Denkweise hätten wir noch heute keine Tunnels durch den Gotthard (weder Auto noch Eisenbahn). Das Problem ist doch nicht, dass Geld für Infrastruktur ausgegeben wird, sondern, dass so wenig Geld für Hartz-IV fliesst.

    Das Stuttgard 21 höchst umstritten ist, hat übrigens auch wenig mit den Kosten zu tun. Vor allem stört sich die Bevölkerung an der konkreten Gestaltung und am Verhalten der "Obrigkeit".

    • beat@0x1b.ch Re: 5 Euro
      Geschrieben von Beat Rubischon (Link) am Freitag, 1. Oktober 2010, 08:17

      Na, zu SVP übergetreten? ;-)

      Definitiv nicht (-: Auch wenn ich mich nicht auf der linken Seite sehe, da ich einen EU-Beitritt nicht beführworten kann.

      Dein Vergleich ist in diesem Fall unfair.

      Das mag durchaus der Fall sein. Und doch bin ich mir bewusst, dass diese Gedankengänge aktuell nicht selten sind im "grossen Kanton". Gespräche mit Menschen aus diversesten sozialen Schichten zeigen ein durchaus einheitliches Bild. Soll ein Staat, der seine Aermsten nicht mehr unterstützen will (kann!) tatsächlich solche protzigen Monumentalbauten erstellen?

      • christof@buergi.lugs.ch Re: 5 Euro
        Geschrieben von P2501 (Link) am Freitag, 1. Oktober 2010, 10:48

        Das solche Gedankengänge in letzter Zeit häufiger vorkommen, überrascht mich nicht. Das macht sie aber nicht richtiger.

        Wenn wir die Gesellschaft in die klassichen drei Schichten einteilen, so hat in schlechten Zeiten jede Schicht den Eindruck, ihr gebühre am meisten Dank für den Erhalt des Staats. Die Unterschicht, weil sie für ihren Beitrag schlecht entlöhnt wird. Die Mittelschicht, weil sie den Grossteil der Ingenieure und Techniker stellt. Die Oberschicht wegen der Steuerprogression. In der Folge werden alle staatlichen Projekte angegriffen, die nicht dem eigenen Nutzen dienen.

        Typischerweise wehren sich die Nicht- und Wenigverdiender gegen teure Grossprojekte, wohingegen die Mittel- und Grossverdiener sich gegen Sozialleistungen aussprechen. So wie es Leute gibt, welche die Neubaustrecke Köln - Frankfurt als unnötigen Prestigebau geisseln, so gibt es solche, welche Hartz-IV als Verhätschelung von Schmarotzern betrachten. Beide Seiten übersehen dabei grosszügig Fakten, die nicht in ihr Weldbild passen.

        Anders gesagt: Ein fehlender Ausgleich zwischen Arm und Reich ist ein Fehlschlag der Politik. Aber die Ausgabendiskussion ist nicht Ursache, sondern Symptom.