0x1b - ESCAPE
HTML PDF Postscript
 Schmutzige Füsse 
Beat Geschrieben von Beat Rubischon (Link) am Freitag, 3. Juli 2009, 18:07
aus dem *autsch* dept.

Es könnte durchaus passieren, dass Dir jemand zwischen Nänikon-Greifensee und Volketswil begegnet, der seine Schuhe unter dem Arm hat.

Seit ich mich erinnern mag, trug ich Schuhe. Die paar wenigen Male, die ich barfuss bei den Nachbarskindern im Garten war, blieben in schlechter Erinnerung: Die Steinchen da haben klein Beat furchtbar weh getan. Selbst zuhause waren früher Haustiere, heute Kinder :-) und mindestens Adiletten müsssen sein.

Für mich waren nackte Füsse lange Zeit schlimmer als komplett ohne. Keine Ahnung, woher dieser Knacks kam - er war irgendwie schon immer da. Ich hatte nie Probleme damit, in eine Sauna zu gehen, eine öffentliche Dusche zu benutzen oder ganz ohne durchs Haus zu laufen. Hatte ich aber einmal keine Schuhe oder Socken an, fühlte ich mich so richtig unangenehm. Genauso hat es auch umgekehrt nie gepasst: Ich ziehe auch heute erst die Socken aus, bevor ich mich der Unterhose entledige :-)

Ich erinnere mich gut, mit welchem Bammel ich vor vielleicht vier Jahren meine ersten Sandalen gekauft habe. Und wie viel Ueberwindung es brauchte, bis ich mich mit ihnen aus dem Haus getraut habe. Dabei hatte ich schon da durchaus Uebung mit dem Röcketragen. Das Gefühl war durchaus angenehm und der Mief am Abend hat gefehlt. Cool, im wahrsten Sinn des Wortes.

Irgendwann, es war wohl im Rahmen der CeBit, bekam ich von einer guten Frreundin eine Einladung zum Tanzen. Nicht das Tanzen, wie ich es jahrelang gemacht habe. Sondern solo, frei, ohne Regeln und Schritte. Bewegen zur Musik, aus dem Gefühl. Die Idee nahm im Verlauf der Monate Gestalt an und wir verabredeten uns auf letzten Freitag in Hamburg. Die Webseite verriet, dass es eine Barfussdisco wäre. Ich schob den Gedanken erst einmal beiseite.

Wohl Anfangs Juni, ein paar warme Tage. Ich stand in Ziegelbrücke und wartete auf meinen Zug. Ein Mädchen (verzeiht den Ausdrück Mädchen, mit fortschreitendem Alter und den bereits zwei grauen Haaren auf dem Kopf ist für mich alles unter 30 ein Mädchen :-) in Mini und knappem Top ging ganz selbstverständlich zum Selecta Automaten und holte sich etwas zu futtern. Sie war barfuss und hatte sichtlich keinerlei Probleme mit dem heissen Boden. Der zur Seite geschobene Gedanken über die Barfussdisco tauchte wieder auf. Was die kann, sollte mir doch auch gelingen. Der Ehrgeiz war geweckt.

Ich bin viel zu Fuss unterwegs. Die 1000 Kilometer während meinem WG-Zimmer Experiment waren nichts aussergewöhnliches. Die Strecke vom Bahnhof zum Büro und zurück mache ich seit letztem Herbst eigentlich immer zu Fuss. Auf dem Weg von Nänikon-Greifensee gibt es ein kleines Naturschutzgebiet mit viel Grün. Am Morgen nach der Begegnung in Ziegelbrücke, es war regnerisch, stand ich am Anfang dieses Grüns. Blink nach links, Blick nach rechts. Tiiiiiiiief durchatmen. Schuhe aus und ab in's Grün.

Die anderthalb Wochen darauf weitete ich meine Spaziergänge aus. Einmal gar mit einem unfreiwilligen Bad. Ein grosser Diskcrash bei einem Kunden sorgte dafür, dass ich auch über das Wochenende im Büro war und so den einen oder anderen barfüssigen Spaziergang machen konnte. Kurz vor meiner Abfahrt nach Hamburg schaffte ich gar die ganze Strecke hin- und zurück. Im Wissen, dass mich an einem Samstagnachmittag kaum jemand behelligen wird :-)

Seit meiner Rückkehr am letzten Wochenende mache ich diesen Weg nun täglich, ein oder zwei Mal:

View Barfuss Spaziergang in a larger map

Es ist faszinierend, wie viel mehr man von so einem Weg ohne Schuhe mitbekommt. Einerseits ganz praktisch - ich gehe langsamer und bedeutend achtsamer :-) Dann aber auch die verschiedenen Gefühle, die der Boden einem geben kann.

Vom Zug weg dem Bahndamm entlang ist es durchgehend Teer, eher von der feinkörnigen Sorte. Die Linkskurve, bei der ich rechts abzweige, fühlt sich besonders warm an. Selbst nach einer Nacht ist der Boden da noch immer wärmer als an allen anderen Stellen.

Meist hat es da noch Leute, die vom oder zum Zug gehen. Die Reaktionen auf einen Mann ohne Schuhe sind faszinierenderweise stärker als auf einen Mann im Rock.

Die Brücke über die Bahn besteht aus zwei Rampen. Der Weg hoch geht dabei bedeutend einfacher als der runter. Schläge, die von den Schuhen abgefedert werden, müssen nun von den Muskeln gepackt werden.

Eine Strasse überqueren, dann ist schon wieder Fahrverbot. Die erste Hälfte des Weges ist gekiest. Kleine, kantige Steinchen. Eklig. Beim ersten Mal über diesen Weg habe ich nach der Hälfte aufgegeben, mittlerweile gehen je nach persönlicher Verfassung 2/3 des Weges ganz OK. Ziel ist die schmerzfreie Ueberquerung dieses Stückes, dann kann mich nichts mehr erschüttern ;-)

Der zweite Abschnitt ist grobkörnig geteert. Hat mich am Anfang ziemlich gestört, nach drei, vier Ueberquerungen geht das aber prima. Ein kurzes Stück, vielleicht 20m, ist feinster Flüsterbelag.

Aber so richtig nett wird es im Natuschutzgebiet. Naturwiese, meist noch feucht vom Tau. Einfach losgehen und geniessen! Das kleine Kraut ist weich, das grosse kitzelt bis in die Kniekehlen. Selbst hier unterscheidet sich fast jeder Schritt: Der Boden wird unter Bäumen weicher, unter offenem Himmel härter. In den Mulden liegen Kieselsteine, von einem Bach abgeschliffen, auf den Hügeln wieder eher kleinere, kantige Steinchen. Manchmal begegnen mir Ameisen oder bunte Käfer, um die ich einen kleinen Bogen schlage.

Oft begegnen mir da Leute mit ihren Hunden, die diese schön brav an der Leine führen und sichtlich nichts an Barfussläufern anzumerken haben.

Abrupt bricht das Naturschutzgebiet ab und grenzt an einen Parkplatz eines Tranportunternehmens. Es lohnt sich da, den rostigen Teilen auszuweichen. Noch einmal eine Strasse überqueren, an unserem Bürogebäude entlang zum Eingang. Pflastersteine, Granit, zuletzt Teppich. Spätestens da will ich die Schuhe wieder anziehen, man weiss doch nie so genau, was in einer Computerfirma so alles auf dem Boden liegt (-:

Belohnt werde ich nicht nur mit einem bewussten und schönen Erlebnis, sondern auch mit wunderbar warmen Füssen für den Rest des Tages. Vielleicht etwas für meine kaltfüssige Mitbewohnerin? 8-)

Permalink

Das Kleingedruckte: Der Besitzer der folgenden Kommentare ist wer immer sie eingeschickt hat. Wir sind in keiner Weise für sie verantwortlich.

  • diana@schaper.org Re: Schmutzige Füsse
    Geschrieben von Diana am Sonntag, 5. Juli 2009, 12:13

    passend dazu noch ein netter Artikel, den ich neulich gelesen habe: Bergwandern barfuß :-)

    http://www.welt.de/wams_print/article3921722/Wandern-unten-ohne.html

    Und wie ist es, ohne Schuhe zu tanzen? Willst Du dazu auch noch ein paar Worte schreiben? Ich finde es ja deutlich anders...

  • christof@buergi.lugs.ch Re: Schmutzige Füsse
    Geschrieben von P2501 (Link) am Dienstag, 7. Juli 2009, 12:57

    Aha, ein Nacktfusswanderer. Pass auf, dass du nicht verhaftet wirst. ;-)

    Ironischerweise haben die Nacktwanderer im Appenzell ja ausgerechnet Socken und Schuhe anbehalten. Dabei sind die Füsse doch jenes Körperteil, welches beim Wandern am intensivsten im Kontakt mit der Umwelt sind, und die folglich unbedingt "befreit" werden müssten, wenn man ein Naturerlebnis wünscht.