Liebe ist nur ein Wort
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Geschrieben von Beat Rubischon (Link) am
Freitag, 2. Januar 2009, 21:48
aus dem *bücherwurm* dept.
Für die Fahrt in die Weihnachtsferien und zurück packte ich an meinem letzten Arbeitstag noch ein Buch ein. In Zimikon, wenige Schritte vom Büro weg, befindet sich ein Briefmarkenhändler, der ein grosses Gestell voller Bücher zu einem Franken draussen hat. Das Buch Liebe ist nur ein Wort von Simmel weckte mein Interesse.
Die Geschichte handelt von Oliver und Verena - einer grossen Liebe und all ihren Problemen. Sie spielt in der Umgebung von Frankfurt, in den frühen 60er Jahren. Der Krieg ist noch nicht lange vorbei, viele Menschen im Buch haben ihn erlebt. Als Opfer, mit physischen und psychischen Verletzungen - aber auch als Täter, welche im Wirtschaftswunder der 50er Jahre skrupellos grosses Geschäft gemacht haben. Und natürlich auch die Kinder, geboren nach dem Krieg, die ihren Eltern unangenehme Fragen stellen. Ein Konflikt, der wenige Jahre später zu den 68er Unruhen geführt hat.
Das Buch kennt mehrheitlich "gute" und "böse" Menschen. Viele vielleicht überzeichnet - auch wenn ich davon überzeugt bin, dass keiner der portraitierten Charakteren aus der Luft gegriffen ist. Ich bin bestimmt schon jedem Typ von Mensch mindestens einmal begegnet...
Die grosse Liebe endet tragisch. Und das gleich zu Beginn des Buches. Verena muss sich unter dem Druck ihres Mannes von ihrer grossen Liebe Oliver trennen - dieser begeht kurz darauf Selbstmord. Wie muss sich das anfühlen, jemanden auf derartige Weise in den Tod getrieben zu haben? Kann man nach so einem Erlebnis noch sein eigenes Spiegelbild angucken?
Mich hat das Buch mitgenommen wie kein anderes. Ich kann mich an manch ähnlich spannendes Buch erinnern, auch an manch ähnlich Interessantes aus dem Blickfeld meines Interesses an den ersten gut 50 Jahre des letzten Jahrhunderts. Aber kein anderes Buch hat mich emotional derart aufgewühlt. Die Geschichte einer Liebe, die Macht gewisser Leute - eine Macht, die den Besitzer meist zu einem reichen und erfolgreichen Mann macht, gleichzeitig aber auch zu einem äusserst unangenehmen Zeitgenossen werden lässt.
Wie würde das Buch heute aussehen? Die Wunden des letzten Krieges sind bald verheilt, oder andersherum die verwundeten Menschen bald gestorben. Aber auch heute noch ist Gier und Machtgeilheit ein grosser Motor, der seine Inhaber an die Spitze der Wirtschaft treibt. Auch diese (mehrheitlich) Männer haben Frauen, pflegen geschäftliche Kontakte und nehmen es nicht immer so genau mit dem Gesetz. Druck, Liebe, Erpressung, Gier, Bespitzeln - all das sind Dinge, die heute genauso da sind wie vor über 40 Jahren.
Simmel ist gestern ganz in meiner Nähe gestorben. Praktisch gleichzeitig wie ich sein Buch in den Händen hielt und mit vielen gemischten Gefühlen las. Gefühlen, wie ich sie noch nie bei einem Buch gespürt habe. Manchmal gibt es wirklich grosse Zufälle...
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