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 Ueli der Reformator 
WG-Zimmer Geschrieben von Beat Rubischon (Link) am Dienstag, 23. September 2008, 10:59
aus dem *monument* dept.

Bald ist Fahrplanumstellung beim Limmatschiff. Ich bin die nächsten Tage unterwegs und so war gestern Abend die letzte Chance, um dekadent vom Zürihorn in die Stadt zu gelangen.

Der Rückweg führte mich an der Schipfe vorbei, wo ich unter anderem ein paar Stiefel für 1200.- bewunderte. Was zum Teufel macht eigentlich ein paar einfache Stiefel so teuer? Gut, schön waren sie. Aber die Frau, die ich in solche Stiefel stecken würde, muss mir erst noch begegnen. Und zusammen mit ihr der Job und die Kreditkarte, die mir solche Einkäufe ermöglichen ;-)

Ich wechselte bei der Gemüsebrücke über die Limmat und bewunderte die vielen Kirchen. Irgendwie eine Mischung aus imposant und bedrohlich - ganz wie eine Trutzburg, ein Schönbrunn oder Hitlers Kanzlei in Berlin. Wie kommt es, dass ein so kleines Städtchen, wie Zürich im Mittelalter war, derart viele grosse Kirchen bekam? So fromm waren die Zürcher kaum - den Eindruck, der ein solch grosses Gebäude auf die Menschen hinterlässt, wird wohl die Motivation gewesen sein, sie zu bauen.

Noch etwas weiter, bei der Wasserkirche, steht Zwingli. Wie Waldmann oder Escher steht er auf einem hohen Podest, blickt den lieben langen Tag auf einen Teil "seines" Zürichs und hat selbst in der Nacht keine Ruhe. Immerhin wird er von den Tauben nicht mehr bekleckert - sowohl sein Kopf wie auch die Schuhe sind mit Stacheln gespickt. In der rechten Hand hält er eine Bibel, in der Linken ein grosses Schwert.

Denkmal

In Gedanken versunken blieb ich kurz vor der Statue stehen. Irgendwie repräsentiert sie das, was ich heute in der Kirche sehe. Einerseits wird aus der Bibel gepredigt, andererseits herrschen auch da der Hunger nach Macht, Besitz und Einfluss. Wie sonst kann ein Mann, der sich der Kirche verschrieben hat, nach dem Leben anderer Menschen trachten? Gleichzeitig die Bibel mit dem Gebot Du sollst nicht töten und ein Werkzeug, das ausschliesslich zum Töten von Menschen erschaffen wurde, in den Händen halten?

Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass ein heutiger Pfarrer diese Gier nach Einfluss und Macht verfolgt. Die Kämpfe zwischen dem Priester Don Camillo und dem Bürgermeister Peppone gehören der Vergangenheit an - dennoch sehe ich in vielen Riten und Schriften die Werkzeuge der Macht, mit der früher die Schäfchen im Zaum gehalten wurden. Sie sind noch immer da und so lange sie von den Schäfchen befolgt werden, bleibt die Wirkung.

Auch wenn die grossen Kreuzzüge, die Inquisition und die "Religionskriege" zwischen Reformierten und Katholiken, welche selbst das Glarnerland in zwei Teile mit eigener Landsgemeinde schnitt, vorbei sind - noch immer werden Menschen im Namen, im Auftrage oder in Billigung der christlichen Kirchen getötet. Derselbe amerikanische Präsident, der im Fernsehen die Messe besucht, unterschreibt Todesurteile. Die aktuelle Vizepräsidentschaftskandidatin, eine hochreligiöse Frau, steht für das staatliche Morden auf den amerikanischen Kriegsschauplätzen und Gefängnissen ein.

Aber auch im ganz Kleinen. Wieviele Paare leben noch bis dass der Tot Euch scheidet zusammen, ohne sich noch etwas zu sagen zu haben? Wieviele Frauen - und Männer - akzeptieren Misshandlungen in der eigenen Familie? Wieviele sexuelle Uebergriffe werden unter dem Deckel gehalten, weil sie nicht sein dürfen? Eigentlich sollte ja nichts davon geschehen - wenn es aber dennoch geschieht und auskommt, ja dann verlieren die Beteiligten das Gesicht...

Ich war froh, bis zu meinem Bett noch ein paar Meter dem See entlang zu gehen und meine Gedanken sortieren zu können. Dabei genoss ich das Gefühl von Ruhe und Freiheit um mich herum - aber auch in mir drinn. Kein Leibeigener zu sein, weder von einem Herrn, noch von meiner eigenen Gier.

Alle Teile unter WG-Zimmer.


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  • Re: Ueli der Reformator
    Geschrieben von Bloggerin am Dienstag, 23. September 2008, 13:55

    Naja.Du und ich wissen nicht, ob Herr Zwingli jemals so dastand, wie er es nun in Form dieses Denkmals tut: Mit Bibel und Schwert. In der Schule habe ich einst gelernt, dass der Künstler (Heinrich Natter) mit Bibel und Schwert die Verbindung zwischen Kirche und Staat zum Ausdruck bringen wollte.

    Hätte ich dies nicht in der Schule gelernt, hätte ich wohl eher vermutet, dass Bibel und Schwert gemeinsam bei Zwingli ruhen, weil die Bibel sich selbst als "Das Schwert des Geistes" bezeichnet.

    • ventilator@semmel.ch Re: Ueli der Reformator
      Geschrieben von Venty Lator (Link) am Dienstag, 23. September 2008, 23:31

      Wie's mit dem Huldrych war weiss ich nicht. Von seinem Nachfolger Heinrich Bullinger ist aber überliefert, dass er ein eher friedfertiger Mensch war, der die Reformation wohl sehr gut verkaufen konnte, und sich auch für religiöse Flüchtlinge ein. Wohl, weil er selber wegen seines Vaters aus seinem Geburtsort Bremgarten vertrieben wurde. Sein Vater war ein katholischer Pfarrer(!), der dann aber zum Protestantentum konvertierte. Na oder so ähnlich.