Informatikjahr
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Geschrieben von Beat Rubischon (Link) am
Samstag, 23. Februar 2008, 15:11
aus dem *boom* dept.
Ich lebe oft in einer etwas anderen Welt und bekomme gewisse Dinge erst nach langer Zeit mit. So zum Beispiel das Informatikjahr 2008.
In einem Jahr sollen die Grundlagen gelegt werden, die geschätzten 2500 ~ 4500 fehlenden Informatiker auszubilden. Nur - ist eine Ausbildung das Richtige?
Ich habe weder eine Hochschule besucht noch eine entsprechende Lehre gemacht. Ich habe nur bald ein Vierteljahrhundert Erfahrung gesammelt. Wein Wissen ist zusammen mit der Komplexität der Materie gewachsen - vom 8-Bit Heimcomputer über das kleine IBM System zum vernetzten PC, irgendwann einmal auch Internet und Linux / BSD/ UNIX.
Kann man Erfahrung lernen? Ich denke es mir nicht. Man muss diese sammeln und das ist dummerweise ein sehr zeitraubender Prozess. Auch wenn wir jetzt ein paar hundert Leute in die Ausbildung schicken, werden wir erst in 10, vielleicht sogar 20 Jahren profitieren können. Bis da hin platzt die Blase sicher noch einmal und die meisten Absolventen einer Basisausbildung hocken auf der Strasse.
Um Erfahrungen zu sammeln, braucht es auch eine Chance. Einfache Admin-, Webdesigner- oder Entwicklerjobs in kleinen oder mittleren Firmen, die sich bis zu einem gewissen Grad untereinander vernetzen. Aber gerade die kleinen und mittleren Betriebe stehen heute unter einem derartig grossen Druck, dass sie keine Inhouseleute mehr anstellen können oder wollen.
Vielleicht sind gerade die Dinge hinter den Stichworten Globalisierung, freier Waren- und Personenhandel, die für einen problemlosen Austausch von Informatikern über die Grenze sorgen, letztendlich auch die Dinge, die uns beim Ausbilden neuer Leute im Wege stehen?
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Re: Informatikjahr
Geschrieben von h2o am
Montag, 25. Februar 2008, 02:01
Informatica08 zielt auf eine bessere Information der Leute, um sie dazu zu motivieren, in die Informatik einzusteigen. Das Problem bei diesem Ansatz ist leider, dass es gar nicht an der Information mangelt, sondern im Gegenteil: Mittlerweile haben viele Leute mitbekommen, dass 95% der Informatikjobs in der Schweiz nichts mehr mit der schönen, kreativen, "geekigen", freien Informatik zu tun haben, wie es früher üblich war. Heute ist Informatik im Schweizer Alltag entweder ein langweiliger, zermürbender Bürokratensumpf (Meetings, Prozesse, Spezifikationen, Reviews, Zertifizierungen, Auditing usw.) oder dann schlichtes, "berechenbares" Software Engineering: Die Auftraggeber meinen bis aufs letzte Pixel und Byte zu wissen, was sie brauchen und wollen, der Informatiker "darf" es nur noch umsetzen und zwar am liebsten halbgratis und in weniger Zeit, als man vernünftigerweise dafür einplanen sollte. Der kreative Aspekt bleibt auf der Strecke, man ist nur noch eine Maschine mit Zielvorgabe statt ein kreatives Genie, denn selbst positive Überraschungen sind nicht gefragt.
Die Globalisierung tut ihr übriges, indem man als hiesige Informatikermaschine ständig mit der Drohung im Nacken lebt, am nächsten Tag durch 6 Informatikermaschinen aus oder in Indien ersetzt zu werden (die zusammengerechnet erst noch günstiger sind, jedenfalls ist das die allgemeine Auffassung bis zum Platzen dieser Blase). Soll man sich da noch wundern, dass sich immer weniger Leute in der Schweiz für solche Berufe interessieren?
Ist zugegeben etwas schwarz gemalt und es gibt natürlich auch in der Schweiz nach wie vor im ursprünglichen Sinn interessante Informatikerstellen. Aber zu wenige, um das dominante Bild des heutigen, meist ziemlich grauen Informatikeralltags zu korrigieren.
Ich würde deine Forderung nach mehr Einsteigerjobs also noch ergänzen um die Forderung, dass es vor allem mehr interessante, begeisternde und weniger uninspirierte Jobs in der Informatik braucht. Sowohl für bereits Qualifizierte (ob durch Studium oder Erfahrung) als auch für Quereinsteiger ohne Erfahrung und Ausbildung aber mit viel Enthusiasmus und Wissbegier.
Zu befürchten ist jedoch, dass diese Veränderung ausbleiben wird, weil sich die Informatik an sich so stark verändert hat, dass die schöne, geniale Informatik nur noch vergleichweise selten gefragt ist. Wenn man dann wie die Informatica08 Aufklärung und Werbung fürs Berufsbild betreiben will, sollte man deshalb richtigerweise das öde, realistische (will heissen am häufigsten anzutreffende) Informatikerbild vermitteln. Dann kann die Schweizer Wirtschaft nur noch hoffen, dass dieses trotzdem einem, vermutlich anders gelagerten, Schüler-/Menschentypus zusagt.
Leider wird zurzeit aber immer noch mit der surrealen, schönen Informatik geworben. Die Landung auf dem Boden der Realität ist dann umso härter und nachhaltiger, in dem diese desillusionierten Neuinformatiker schleunigst in interessantere Fachgebiete wechseln.
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Re: Informatikjahr
Geschrieben von Beat Rubischon (Link) am
Freitag, 2. Januar 2009, 20:59
Swissinfo hat noch einmal einen Artikel. Das Jahr der Informatik ist vorbei und die Resonanz fehlte komplett.
Informatik ist nicht sexy, so der Kommentar von Zehnder. Und damit hat er wohl nicht ganz unrecht - wer hat heute noch einen Job in der IT, der so richtig Spass macht? Wo ist heutzutage noch Kreativität gefragt?
Dazu kommt die immense Lernkurve, die heutzutage ein Einsteiger packen sollte. Vor 20 Jahren reichte es, etwas DOS Kenntnisse zu haben - alles andere kam in kleinen, lernbaren Schnippseln. Etwas LAN, irgendwann TCP/IP, vielleicht noch etwas Windows oder Linux. Heutzutage müssen die Jungs gleich nach der Ausbildung schon alles können. Oder aber sich derart spezialisieren, dass ihnen irgendwann der Blick aufs Ganze fehlt.
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