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 Alte Schinken 
Beat Geschrieben von Beat Rubischon (Link) am Montag, 25. Dezember 2006, 12:52
aus dem *schwarz-weiss* dept.

Wie Priska schon erwähnt hat, machten wir gestern einen gemütlichen DVD Abend mit zwei schweren Filmen.

Sowohl Der grosse Diktator als auch Casablanca. Beide Filme spielen in den Anfängen des zweiten Weltkrieges, als sich das dritte Reich noch auf Expansionskurs befand.

Charlie Chaplin karikiert in seinem Film die Nazigrössen und zeigt mit einer erschreckenden Direktheit den Antisemitismus im Nazideutschland. In der "Pinkelpause" musste ich einen kurzen Blick auf Wikipedia werfen - tatsächlich, der Film wurde im 1940 abgedreht. Entweder hatte Chaplin Zugang zu Geheimdienstdokumenten - was ich bezweifle - oder die Internas des dritten Reiches waren in der westlichen Welt besser bekannt als selbst in den Nürnberger Prozessen zugegeben wurde.

Selbstverständlich passierten auch Fehler. Die verfolgten Juden dürften sich mehrheitlich nach ihrem Glauben gekleidet haben, während im Film normale (amerikanische) Strassenkleidung getragen wird. Auch ist der Spruch Oh Jesus aus dem Mund einer Jüdin kaum passend. Die Stimmung auf den Strassen und im Konzentrationslager dürften jedoch sehr passend sein. Genauso wie die Hitlerschen Wutausbrüche.

Die schauspielerischen Leistungen von Chaplin einfach grossartig. Ein Mann, den ich bisher nur aus Slapstikrollen kannte, verkörpert mit Inbrunst den grossen Diktatoren und den kleinen Schneider. Er überzeugt mit Sprache und Ausdruck in Szenen von drei, vier Minuten Länge ohne Schnitt. Jede Bewegung und jedes Wort passen.

Mit Casablanca einen gewaltigen Stilwechsel. Dieselbe Zeit, einen ganz anderen Typ Film. Ein buntes Treiben von nordafrikanischen Leuten und europäischen Flüchtlingen füllt eine Stadt, die es nur in den Studios von Hollywood gab. Auch wenn die Liebesgeschichte eine grosse Rolle spielt, kommt die Angst der Flüchtenden gut zum Vorschein.

Eine Zeit, in der Menschenleben nur wenig wert waren, viele Menschen ihre Heimat und ihren Besitz aufgaben um das Leben zu retten. Beides etwas, was uns Kindern der 80er Jahre völlig fremd vorkommt. Viel mehr sollte man über Casablanca nicht schreiben müssen - der Film gehört zu den Filmen, die man einfach gesehen haben muss.

Beide Filme stammen technisch aus einer anderen Zeit. Das Schwarz/Weiss der Bilder bringt einen ganz anderen Stil, aber auch die Schnitttechnik unterscheidet sich grundlegend vom heutigen MTV beeinflussten Kino. Die Szenen sind viel länger, die Beleuchtung hat einen ganz anderen Stellenwert als in heutigen Filmen.

Eine Zigarette richtig zum Leuchten zu bringen stellt eine ganz andere Herausforderung dar, als ihre Spitze ein wenig rot glühen zu lassen. Und doch schaffte der Kameramann und der Beleuchter diese Herausforderung. Schöne Frauen wurden mit etwas Weichzeichner noch schöner gemacht - für heutige Verhältnisse vielleicht doch etwas übertrieben, damals aber völlig normal. Filmen war noch Handarbeit, die ein, zwei Computer auf der Welt gerade einmal in der Lage den Weg eines Artilleriegeschosses zu berechnen.

Frauen in Hosen war damals ein Nono. Gegen Ende des Krieges stellte niemand mehr Fragen und in stalinistischen Russland hatten Frauen dieselben Rechte und Pflichten wie die Männer, was ein anderes Bild gab. Aber im amerikanischen Hollywood war es absolut selbstverständlich, dass Frauen Röcke trugen. Für heutige Verhältnisse war der Bund sehr hoch, die Schnittweite stilisierte den Stand der Frau. Je wohlhabender sie war, desto enger durfte der Rock geschnitten sein. Trotz der aus heutiger Sicht engen Regeln erscheinen die Frauen sehr individuell und ungemein erotisch. Keine Hüfthosenträgerin mag einer Ingrid Bergman das Wasser reichen - und das obwohl diese fünf Jahre zuvor bereits ihr erstes Kind bekam.

Nach den Filmen brauchte ich noch ein paar Minuten Ruhe, genoss die "weisse Weihnachten" die der Rauhreif morgens um Zwei abgelegt hat und fiel zufrieden ins Bett. Wird sich jemals einen Schauspieler finden lassen, der einem Charlie Chaplin ähnlich den heutigen "Grossen Diktatoren" Geroge W. karikieren kann? Werden wir bald Filme sehen, in denen sich liebende Amerikaner auf ihrer Flucht aus den Augen verlieren?

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