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 Ehrenhaft entlassen 
Beat Geschrieben von Beat Rubischon (Link) am Freitag, 2. Dezember 2005, 20:42
aus dem kommst-im-morgenrock-daher dept.

Heute war für über 300 Glarner der letzte Militärtag - 7 Jahrgänge wurden infolge Armee XXI aufs Mal entlassen. Auch ich "feierte" meinen letzten Tag in grün.

Erst hiess es packen und nach rund 10 Jahren mich wieder einmal in Uniform stürzen (sie passte noch!). Weder Priska noch ich hatten gross Interesse an dem Zeugs, dass die letzten 10 Jahre unseren Keller verstopft hatte. Die T-Shirts und Gnägis verfilzt, die Schuhe mit Grünspan. Also weg damit. Das Sani Material und die Labeflasche auch gleich weg. Selbst die Pistole - Priska will keine Waffe im Haus und so ging auch sie den Weg alles Irdischen.

Nach der Fotosession brachte mich Priska zum Flughafen Mollis, wo in einem ehemaligen Flugzeugbunker die Paletten für die Dinge bereitlagen. Aufgrund meiner etwas speziellen Karriere war ich etwas anders als die Anderen angezogen und aufgrund meiner Entsorgungswut hatte ich sicherlich das Doppelte der Anderen mit dabei. In einem hochoptimierten Verfahren gab man Eines um das Andere ab. Als Pistolenträger und Sanimaterialbesitzer stimmte die Reihenfolge hinten und vorn nicht und ich wurde bestimmt von 20, 30 Leuten unterwegs überholt. Egal, auch ich war irgendwann beim Schluss. Ah, Du bisch dä mit de Pischtole. Scheint dass ich der Einzige war, der seinen Reiseföhn zurückgeben wollte. Zum Glück war der Zeughäusler derart gefordert dass er nicht merkte, dass mein Reservemagazin unterwegs auf der Strecke blieb *schweissabwisch* Verglichen mit der Entgegennahme über der Schweizer Fahne vor 14 Jahren ein ziemlich bescheidener Akt.

Ich war der Einzige, der sich mit dem Shuttel ins SGU transportieren liess. Alle anderen waren mit dem Privatauto unterwegs. Echte Glarner eben. Der stumpenrauchende Fahrer plauderte etwas mit mir über die laufende Aktion.

Im SGU hiess es erst einmal warten. Anderthalb Stunden zu früh. Ich klemmte mich hinter einen Kaffee und smalltalkte mit ein paar Kameraden, die ich vorher noch nie gesehen hatte.

Um Sechs begann der offizielle Teil in einer grossen Turnhalle. Noch einmal Tenü erstellen und in Achtungsstellung gehen. Zwei Ansprachen, Musik vom Militärblasmusikorchester. Dann die persönliche Verabschiedung und die Ueberreichung eines Sackmessers. Eine letzte Ansprache mit dem Hauptgedanken, dass man sich vielleicht auch nach der offiziellen Mitlitärzeit für die Allgemeinheit einsetzen und nicht nur einfach konsumieren soll. Die obligatorische Nationalhymne in Achtungsstellung und das letzte Ruhn. Danach Essen: Gerstensuppe, Glarner Netzbraten mit Kartoffelstock und Gemüse, zum Dessert ein Beggeli und ein Kaffee. Kein militärisches Essen, daher perfekt organisiert und überaus schmackhaft. Ich hielt mich wacker an einem Mineralwasser fest.

Immer wieder erstaunlich zu sehen, wie sich die gute Kinderstube gewisser Leute verzieht, wenn sie eine Uniform tragen. Zudem wurden Unmengen von Bier vernichtet - wie gesagt, die Mehrheit mit dem Auto unterwegs. Die Zeit der Abschreckung unserer 0.5 Promillegrenze ist definitv vorbei.

Vor der Halle dann das Umziehen. Mit Genuss den Waffenrock, die kratzenden Hosen und das Hemd in die Tonne, ab in den Utilikilt und eine zivile Jacke. Ein paar erstaunte Blicke, nicht mehr. Vor dem SGU noch 5 Minuten gewartet und mit dem letzten Bus heim.

Im Bus ein paar Gedanken zurück. Im Sommer 1991 machte ich meine RS als Sanitäter in Losone - in der Meinung, etwas Intelligentes zu tun. Fehlanzeige. Ich war der Werbung komplett erlegen und merkte dies schon nach 2, 3 Tagen. Aber da war es zu spät zum Aussteigen und ich musste durch. Drei WKs in Grün, danach die vielen Tage Programmieren im Team der Leute um INFONET. Letzteres eine gute Zeit, meist sehr intensiv, mit vielen guten Kontakten.

Der Gedanke zurück an die Serviertochter im Restaurant in Torre. Wir lebten 8 Wochen in der Schokoladefabrik, kamen alle ein bis zwei Wochen in den Ausgang. Sie kam frisch aus Jugoslawien und machte sich Sorgen um ihre Eltern und Geschwister. Das war lange vor Milosevic's Massenmorden und ich frage mich oft, ob sie ihr Lachen, dass sie uns damals so selten zeigte, wieder finden konnte.

Oder die drei Wochen RS-Vollendung in Chur, nach denen ich nervlich so durch war, dass ich erst einmal ein paar Tage mit über 39° flachlag. 20 Stunden Tage, mehrere psychisch und physisch für ihr Leben kaputtgemachte Menschen, eine Selbstverstümmelung mit dem Sturmgewehr und ein Heroinjunkie auf Entzug hatten mich zu stark mitgenommen.

Aber auch der Gedanke an die Fahrt mit einer Luftseilbahn in der Innerschweiz, Abends um 11. Wir tauchten plötzlich aus dem Nebel auf, der uns den ganzen Tag begleitet hatte. Ein strahlender Vollmond stand über dem Nebelmeer, welches das ganze Vierwaldstätterseebecken zudeckte. Das Bild treibt mir heute noch die Tränen in die Augen.

Es ist vorbei. Niemand wird mich mehr aufbieten können. Niemals mehr muss ich mit besoffenen Kameraden zusammensitzen und warten, bis der Tag vorbei ist. Niemals mehr werde ich an Orte kommen, die ich selbst nie besuchen würde. Uebrig bleiben ein paar Dinge die niemand zurückwollte und viele Erinnerungen, die ich mit mir herumtragen werde. Und die grundlegende Ueberzeugung, dass unsere Armee sinnlos ist.

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  • Re: Ehrenhaft entlassen
    Geschrieben von Cmdr_Zod am Samstag, 3. Dezember 2005, 21:21

    Beneide Dich direkt, trotz Durchdiener hats hier noch einiges Zeugs dass nur im Weg rumsteht (insbesondere dieser unsägliche Kalaschnikow-Verschnitt stört mich ganz gewaltig), und abgesehen von den Lederhandschuhen war ich auch noch nie froh um den Krempel.
    Dein Blog klingt so als hättest Du Interesse an der Pistole gehabt, wieso eigentlich?

    • beat@0x1b.ch Re: Ehrenhaft entlassen
      Geschrieben von Beat Rubischon (Link) am Sonntag, 4. Dezember 2005, 16:35

      Dein Blog klingt so als hättest Du Interesse an der Pistole gehabt, wieso eigentlich?

      Na ja, der erste Gedanke beim Lesen der Einladung (sorry, des Marschbefehles) war "behalten". Man weiss ja nie, wann $SCHURKENSTAAT die Schweiz einnimmt. Andererseits habe ich das Teil im Herbst 91 zum letzten Mal benutzt und treffe kaum ein Haus auf 2 Meter. Also weg damit.

      • Re: Ehrenhaft entlassen
        Geschrieben von Cmdr_Zod am Sonntag, 4. Dezember 2005, 18:17

        Nicht dass ich jetzt behaupten wollte die Schweizer Armee wäre fähig, mit irgend einem Gegner fertig zu werden, aber wie verträgt sich dein erster Gedanke jetzt mit der Erkenntnis, dass unsere Armee sinnlos ist?

        • priska@0x1b.ch Re: Ehrenhaft entlassen
          Geschrieben von Priska Rubischon (Link) am Sonntag, 4. Dezember 2005, 18:27


          Die Armee ist sinnlos, aber eine Knarre kann man ja auch selbständig benutzen, ohne dass man bei der Armee mitspielt. Sogenannte Terroristen oder auch Untergrundkämpfer halten das so.

          Ich sehe aber keinen Grund eine Waffe im Haus zu haben, wenn man die nicht regelmässig zu Weiterbildungszwecken nutzt. Mein Vater war "Sportschütze" und nutzte sein Sturmgewehr fast jedes Wochenende. Da fand ich es von Kind an ok, dass Waffen im Hause sind (zeitweise 3 Sturmgewehre - merke ich habe zwei Brüder :). Aber da Beat diese nicht nutzt, nicht nutzen will, brauchen wir auch nichts derartiges im Haus.

          • beat@0x1b.ch Re: Ehrenhaft entlassen
            Geschrieben von Beat Rubischon (Link) am Sonntag, 4. Dezember 2005, 20:14

            Ich sehe aber keinen Grund eine Waffe im Haus zu haben...

            ...vor allem wenn man sieht, dass "Steine auf die Gegener werfen" Schweizerische Tradition ist und sowohl in Morgarten als auch in Näfels praktiziert wurde.

            Steine haben wir genügend ;-)